Blogbeitrag - Was Sprache bewirken kann.

Diskriminierungssensible Sprache am Beispiel von Sprache und Behinderungen

Unsere Sprache ist unser alltägliches Werkzeug. Die Sprache bildet die Wirklichkeit nicht objektiv ab, sondern konstruiert sie mit: Alles findet seinen Ausdruck in der Sprache und wird gleichzeitig von ihr beeinflusst. Da Sprache auch Machtverhältnisse zum Ausdruck bringt und Diskriminierung so (unbewusst) verfestigen kann, ist es von Bedeutung, diese wahrzunehmen und sich damit auseinanderzusetzen, wie eine diskriminierungssensible Sprache in einer pluralistischen Gesellschaft möglich ist.

In unserem alltäglichen Sprachgebrauch finden wir immer wieder Ausdrücke, die Vorurteile und Diskriminierungen reproduzieren. Genau auf eine solche, häufig im Sprachgebrauch verwendete Begrifflichkeit sind auch wir gestoßen worden, als unser Erklärvideo „Diskriminierung – Was hat das mit mir zu tun?“ veröffentlicht wurde. Dort haben wir die Metapher des sogenannten Blinden Flecks verwendet, um auf die in unserem Unterbewusstsein verankerten Vorurteile hinzuweisen, die es aus unserer Sicht zu erkunden und zu reflektieren gilt, wenn wir gegen Diskriminierungen vorgehen wollen. Diese Metapher kann jedoch auch ganz andere Assoziationen hervorrufen und daher von Menschen als diskriminierend empfunden werden. Aus diesem Grund sind wir in unserem Projekt in einen Auseinandersetzungsprozess mit dem Begriff und dem Thema diskriminierungssensible Sprache am Beispiel von Behinderung eingestiegen.

Warum sprechen wir vom „Blinden Fleck“?

Der Ausdruck „Blinder Fleck“ wird häufig als Metapher in unserem alltäglichen Sprachgebrauch verwendet, um unbewusste Vorurteile zu beschreiben.

Der Ursprung des Begriffs bezieht sich auf ein anatomisches Phänomen. In der Augenheilkunde wird die Stelle des Auges als blinder Fleck bezeichnet, bei der der Sehnerv auf die Netzhaut trifft. An der Austrittsstelle des Sehnervs existieren keine lichtempfindlichen Rezeptoren, daher ist das Auge an dieser Stelle blind. Unser Gehirn ist in der Lage, die fehlenden Informationen nachzubilden und somit ein vollständiges Abbild der optisch wahrgenommenen Wirklichkeit zu liefern.

Auch in der Sozialpsychologie wird der Begriff „Blinder Fleck“ verwendet, um Teile des Selbst oder Ichs, die von einer Persönlichkeit nicht wahrgenommen werden, zu beschreiben.

Der Begriff im Kontext unseres Erklärvideos

Uns geht es bei unserem Erklärfilm „Diskriminierung – Was hat das mit mir zu tun?“ bei der Verwendung des Ausdrucks um dieses (sozial)psychologisches Phänomen.

Wir verwenden den Begriff in unserem Video wie folgt:

„Mit diesem Video laden wir euch dazu ein, unser Denken und Handeln auf kleinere und größere blinde Flecken abzutasten. (…) Wir alle haben unsere blinden Flecken. Durch den Austausch über Privilegien und Diskriminierung können wir uns gegenseitig dabei helfen, sie zu erkennen und zu verkleinern.“

Anspielen wollen wir auf die Teile des Selbst oder des Ichs, die von Personen und Gruppen nicht wahrgenommen werden. Diese können auch zu Abwehr- und Beschwichtigungsmechanismen führen und in bestimmten gesellschaftlichen Herrschafts- und Machtkonstellationen mit Intention kultiviert und somit  – meist zuungunsten von Minderheiten – instrumentalisiert werden. Wir meinen also die sogenannten blinden Flecken der Wahrnehmung, des Verstehens, der Einfühlung sowie der Bereitschaft, überhaupt wahrnehmen, verstehen und einfühlen zu wollen.

Wie wir mit dem Thema umgehen und was wir lernen

Nachdem wir darauf hingewiesen wurden, dass blinde oder sehbehinderte Menschen sich möglicherweise durch die Verwendung dieses Begriffes diskriminiert fühlen, haben wir viel recherchiert und uns darüber im Projektnetzwerk ausgetauscht. Einige Ergebnisse unserer Recherchen zum Thema diskriminierungssensible Sprache und Behinderung bündeln wir in diesem Newsletter und auf unserer Homepage. In der öffentlichen Debatte war Kritik zur Verwendung der Metapher „Blinder Fleck“ allerdings leider kaum zu finden, daher sind wir auch auf Menschen mit Sehbehinderungen und Organisationen zugegangen, um ihre Einschätzung dazu einzuholen und zu erfahren. Vor dem Hintergrund dieser Rückmeldungen und Recherchen, haben wir uns zum aktuellen Zeitpunkt dafür entschieden, den Erklärfilm weiter zu nutzen.

In unseren bisherigen Auseinandersetzungen haben wir jedoch verstanden und gelernt, wie es auch ohne unsere Intention dazu kommt, dass mit der Metapher „Blinder Fleck“ Menschen sich diskriminiert fühlen können und eine Assoziation zu Sehbehinderung hergestellt werden kann.

Wir betrachten die weitere Beschäftigung mit dem Thema als einen wichtigen Lernprozess, in dem wir uns – als Einzelne, als AWO, als Kolleg*innen – in eine weitere Auseinandersetzung begeben möchten und offen sind für Rückmeldungen, Einschätzungen und Erfahrungen. Wir sind überzeugt, dass dies der AWO sehr nützt und wichtige Anstöße gibt für das Verständnis, dass Demokratiestärkung und die Antidiskriminierungsarbeit Querschnittsaufgaben in allen Handlungsfeldern sein müssen.

Und auch wenn es schmerzhaft ist zu erkennen, dass auch wir in dem Projekt eine möglicherweise diskriminierend wirkende Aussage nicht erkannt haben, so hat es aber auch die Augen geöffnet für die Fragen, wie:

  • Wie wollen wir uns im Verband in solche Auseinandersetzungsprozesse begeben?
  • Wie stoßen wir auch in der AWO eine wünschenswerte Auseinandersetzung an?
  • Wie können wir gesellschaftliche Veränderungsprozesse mitgestalten? Was braucht es dafür?