Die Leitfragen im Rahmen der Tagung und der Kommentierung von Margit Weihnert lauteten:
Die Inhalte der Kommentierung werden hier zusammenfassend dargestellt.
Die Bekämpfung der sozialen Ungleichheit ist eines der Gründungsanliegen der AWO und hat auch heute noch eine große Relevanz: Dies zeigt sich auch in unseren Grundwerten, in denen neben Toleranz, Freiheit, Solidarität auch Gerechtigkeit und Gleichheit eine zentrale Rolle spielen.
Die AWO ist ein Spiegelbild der Gesellschaft – Soziale Ungleichheit und demokratiegefährdende Tendenzen zeigen sich also in unterschiedlichen Facetten auch in unserer Arbeit (Bsp.: Unterstützungssuchende, die aufgrund ihrer sozialen und / oder ökonomischen Lage gesellschaftlich nicht vollumfänglich teilhaben können sowie Unterstützungssuchende oder Mitarbeitende, die in der AWO Diskriminierung erleben aufgrund ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Weltanschauung oder aufgrund von anderen Merkmalen).
Auch heute noch treten wir mit unserer Arbeit ein für die Bekämpfung von sozialer Ungleichheit und gegen Ideologien der Ungleichwertigkeit.
Die wachsende Armut und soziale Ungleichheit müssen zunächst als Herausforderung und Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt verstanden werden. Es ist daher notwendig Wissen über Ungleichheit im Verband zu vermitteln, um das Problem anpacken zu können und Ungleichheit zu bekämpfen
Wir müssen uns als menschenrechtsorientiert handelnde politische Akteurin auf allen Ebenen einsetzen, um soziale Ungleichheit, Armut und Diskriminierungen zu bekämpfen.
Eine Auseinandersetzung mit allen Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist notwendig, wenn wir nach einer sozial gerechten Gesellschaft streben. Das tut die AWO an verschiedenen Stellen ihrer Arbeit.
Bekämpfung von Armut
Mit unseren Positionen, die 2019 im Grundsatzprogramm erneuert wurden, verpflichten wir uns zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit und Armut: In einem der Leitsätze heißt es:
„Mit unserer Arbeit wollen wir Ungleichheiten überwinden, soziale Gerechtigkeit schaffen und allen Menschen gesellschaftliche sowie kulturelle Teilhabe ermöglichen.“
Und folgende Passage verdeutlicht unsere Haltung weitergehend:
„Die soziale Ungleichheit verpflichtet uns seit unserer Gründung, für mehr Gerechtigkeit zu kämpfen. Die zunehmende Ungleichheit gefährdet den sozialen Zusammenhalt und unsere Demokratie: Sie grenzt aus und führt zu geringerer Lebensqualität. Sie schafft körperliches sowie psychisches Leid und Perspektivlosigkeit statt gleiche Lebenschancen. Wir wollen Teilhabe und ökonomische Unabhängigkeit für alle. Um Ungleichheit zu überwinden, wollen wir die Strukturen und das kapitalistische Wirtschaftsmodell unserer Gesellschaft verändern. Wir akzeptieren weder Armut noch Ausgrenzung.“
Daraus leiten wir verschiedene politische Forderungen ab, die wir in unserer Arbeit auf verschiedenen Ebenen einbringen (als BAGFW, einzelverbandlich bei Stellungnahmen zu politischen Entwicklungen, in Gesprächen mit pol. Verantwortungsträger*innen):
Bemühungen um Erkenntnisse über die Wirkung von Armut
AWO/ ISS Langzeitstudie
Seit 1997 hat die AWO Kinderarmut als sozialpolitisch relevantes Thema identifiziert und das Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik mit einer empirischen Untersuchung dieses gesellschaftspolitischen Phänomens beauftragt. Seitdem werden die Lebensverläufe von ursprünglich knapp 900 Kindern untersucht, die zum damaligen Zeitpunkt sechs Jahre alt waren und bundesweit 60 Kindertagesstätten der Arbeiterwohlfahrt besucht haben. Erkenntnis der Studien ist, dass das Leben in Armut die Chancen der Kinder im Wohlergehen erheblich reduziert und bei vielen armutsbetroffenen Kindern geht die Erfahrung mit hohen Belastungen einher.
Die Ergebnisse der fünf Studienphasen wurden immer auch mit der praktischen und politischen Arbeit der AWO rückgekoppelt:
Engagement für Demokratie
Die Bedeutung in der AWO
Soziale Ungleichheit führt nicht nur dazu, dass Menschen von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen werden, sondern stellt auch eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie dar: Sie trägt dazu bei, dass Menschen aufgrund ihrer sozialen Herkunft oder der sozialen und/oder ökonomischen Lage diskriminiert, angefeindet und angegriffen werden und sich menschenverachtende Einstellungen z.B. gegenüber langzeitarbeitslosen und obdachlosen Menschen verbreiten.
Aus der Geschichte und unserem Selbstverständnis heraus haben wir uns in der AWO immer gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit positioniert.
Dieses Engagement hat mit der Aufdeckung der Verbrechen des NSU im Jahr 2011 eine noch größere Bedeutung bekommen, dies stellte eine Zäsur dar und erschütterte die Einwanderungsgesellschaft
Seit dem sogenannten Sommer der Migration 2015 wurden außerdem menschenverachtende Stimmungen sichtbarer – auch in der AWO. Gleichzeitig zeigte sich eine deutliche Unsicherheit im Umgang mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung in der AWO.
Einem Bekenntnis muss Handeln folgen
Die AWO verpflichtet sich als zivilgesellschaftliche Akteurin zum Handeln gegen Diskriminierung und für die Stärkung von Demokratie, dies wird deutlich in unseren Positionen und unserem Selbstverständnis von Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession. Daraus folgt unter anderem auch, dass sich die AWO aktiv für die innerverbandliche Auseinandersetzung und klare Positionierungen gegen Ideologien der Ungleichwertigkeit engagiert. Insbesondere nach der Aufdeckung der Verbrechen des NSU 2011 wurde deutlich: diesem Bekenntnis muss nun erst Recht ein sichtbares Handeln und Aufarbeiten erfolgen.
Strategische Maßnahmen
Auf dieser Grundlage wurden seit 2012 verschiedene Aktivitäten verfolgt und Positionen geschärft:
So arbeitet bspw. seit 2012 die Kommission gegen Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit mit Unterstützung wissenschaftlicher und verbandlicher Expertise an der Erarbeitung von Materialien, Maßnahmen und Strategien für den Verband – hier sind zahlreiche Publikationen entstanden, die für die Praktiker*innen Hilfestellungen bieten im Umgang mit Diskriminierenden, rechten und demokratiegefährdenden Haltungen und Vorfällen: z.B. „AWO Positionen gegen Rechts“, „Vorurteile, Hass und Gewalt“, die Wanderausstellung „Unsere Zeichen gegen Rassismus“
Seit 2012 gibt es die Kampagne „AWO gegen Rassismus – AWO für Vielfalt“, die in den Internationalen Wochen gegen Rassismus das demokratiestärkende Engagement in der AWO sichtbar macht und fördert
Vor dem Hintergrund, dass Diskriminierung, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Hassreden und -taten im Aufwind sind, sieht sich der Verband in der Verpflichtung das Engagement für Demokratie nachhaltig zu stärken. 2021 hat der Verband eine Strategie verabschiedet, mit dem Ziel Demokratiestärkung als Querschnittsaufgabe im gesamten Verband zu verankern. Kompetenzen und Strukturen sollen in allen Handlungsfeldern des Verbandes ausgebaut werden, um Diskriminierung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der AWO und in unserer Gesellschaft entgegenzuwirken. So soll auch politisch-gesellschaftliche Bildung noch stärker als bisher selbstverständlicher Teil der Sozialen Arbeit werden. Zudem soll der Wissenstransfer zu demokratiefördernder Praxis bundesweit im Verband gefördert werden. Dafür wurde mit dem AWO Forum Demokratie ein bundesweites Gremium mit Vertreter*innen der Landes- und Bezirksverbänden ins Leben gerufen, die sich über gute Praxis und Bedarfe austauschen und Maßnahmen entwickeln sollen.
Praktische Maßnahmen in der AWO – eine Auswahl
Daneben gibt es in der AWO eine gewachsene Praxis zur Stärkung der Kompetenzen und des Wissen der Mitglieder und Mitarbeitenden in der AWO
In den vergangenen Jahren ist in vielen Handlungsfeldern die Expertise und Praxis zur Stärkung demokratiefördernder Kompetenzen und des Wissens in der AWO gewachsen. Beispielhaft können hier einige Projekte und Handlungsfelder aufgezeigt werden.
„Zusammenhalt durch Teilhabe“ Projekte in der AWO:
Seit nun schon 12 Jahren werden im Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ (ZdT) Projekte in der AWO gefördert. Die Projekte setzen vor Ort u.a. verschiedene Bildungsangebote um, mit denen Haupt- und Ehrenamtliche für GMF sensibilisiert und im Umgang mit Diskriminierung – bspw. auch die Diskriminierungsform Klassismus – gestärkt werden sensibilisiert werden. Zudem werden in den Projekten Multiplikator*innen in den verschiedenen Handlungsfeldern des Verbandes weitergebildet, um vor Ort als Ansprechperson im Themenfeld tätig zu werden.
„Demokratie und Vielfalt in der Kindertagespflege (DEVI)“
Im Handlungsfeld der Kindertagespflege gibt es mit dem DEVI Projekt aktive Bemühungen des Verbandes für Demokratiebildung. Ziel ist eine Professionalisierung im Umgang mit den Themen Partizipation, Vielfalt, Diskriminierung und Ausgrenzung durch die Auseinandersetzung mit eigenen Haltungen und Biografien der Fachkräfte in der Kindertagespflege. Durch die professionelle Reflexion der eigenen Rollen und des Wirkens als Fachkraft im Rahmen der im Projekt angebotenen Fortbildungen und die Nutzung praxisrelevanter Materialien des Projektes, z.B. einer Handreichung zum Thema „Privilegien“, soll das Arbeitsfeld der Kindertagesbetreuung zu den Themen Beteiligung, Partizipation und Demokratie vertieft und ausgebaut werden.
JMD Respekt Coaches:
An aktuell 45 AWO Standorten mit fast 80 Stellen arbeiten Fachkräfte der AWO daran, gemeinsam mit Jugendlichen Antworten auf eine gesellschaftliche Grundfrage zu finden: Wie wollen wir zusammenleben? Die Jugendlichen bearbeiten in dem Programm die Frage nach dem Wie des Zusammenlebens auf unterschiedlichen Ebenen – in der Klasse, der Schulgemeinschaft und am Wohnort. Aber auch gesamtgesellschaftliche Fragen, wie Gerechtigkeit und Chancengleichheit, Geschlechterrollen, Stereotype und Vorurteile, Religion oder der Umgang mit Medien, Verschwörungsphantasien sind Themen der Gruppenarbeit. Viele Kooperationsschulen liegen in benachteiligten Stadtgebieten, und so leistet die AWO mit dem Programm einen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit. Wo bislang Angebote politisch-gesellschaftlicher Bildung jenseits des Schulunterrichts vor allem bildungsprivilegierte Jugendliche erreichten, trägt die AWO dazu bei, die Zielgruppe zu erweitern. Damit erhalten mehr Jugendliche die Chance, zu lernen, wie sie sich ihrer Interessen bewusst werden, sich wirksam artikulieren und das Gemeinwesen mitgestalten können, um es als ihr Gemeinwesen zu erfahren und Verantwortung zu übernehmen.
Wofür wir uns einsetzen müssen
Die Überwindung von Armut und sozialer Ungleichheit im Sinne von Chancengerechtigkeit ist eines der Kernanliegen der AWO. Es ist daher wichtig auf die existierenden sozial- und gesellschaftspolitischen Problemlagen hinzuweisen und Positionen sowie Forderungen zu entwickeln – als gesellschaftspolitische Akteurin, aber auch als Organisation, die sich aktiv in gesellschaftliche Diskurse einbringt und Diskriminierung jeglicher Art in den eigenen Strukturen und in der Gesellschaft bekämpfen möchte.
Es braucht Gehör für und Sichtbarkeit sowie Empowerment von Menschen, die von Diskriminierung und Armut betroffen sind. So können wir in unseren Strukturen bspw. den Zusammenschluss von Menschen mit Diskriminierungserfahrungen befördern bspw. indem Räume zur Verfügung gestellt werden, um sich über Erfahrungen auszutauschen und Vereinzelung zu verhindern.
Die Stigmatisierung von armutsbetroffenen Menschen muss beendet werden. Dafür braucht es auch ein gesellschaftliches Umdenken und das Bewusstsein, dass Armut kein individuelles Versagen ist, sondern als gesellschaftliches Problem zu verstehen ist.
All dies alles fußt auf unserem Wertefundament, das wir vor Ort auch aktiv leben müssen – dafür setzen sich z.B. die zahlreichen genannten Projekte in der AWO ein. Hier wird auch deutlich: Es braucht Räume, um sich zu verständigen, über das, was AWO Werte und demokratisches Handeln in der AWO vor Ort konkret heißen und wir sehen, dass unsere Arbeit hier wichtige Anstöße leistet.